Liebe Gemeinde,
seit meinem Herzinfarkt am Anfang dieses Jahres ringe ich viel um innere Ruhe. Das ist mit einem traumatisierten Innenleben nicht einfach. Wie gut zu erleben, dass Gott mich da nicht alleine „wurschteln“ lässt. Hin und wieder werden mir unerwartete, hilfreiche und segensreiche Begegnungen geschenkt. Zum Beispiel diese:
Auf dem Rückweg von der Kneippanlage treffe ich einen Buxacher. Es kommt zu einem kurzen, aber offenen Gespräch. Dadurch bekam ich einen spannenden Impuls mit auf meinen Genesungsweg: „Bedenke, dass Worte Kraft haben und deine Gedanken und Gefühle auf die richtige Spur setzen können. In allen Kulturen der Welt gibt es deswegen Sätze, die sich mit solch einer inneren Not auseinandersetzen. Vielleicht findest du für dich Worte in deinem Glaubenssystem, die dir einen Weg zur inneren
Ruhe bahnen.“
Also suchte ich – diesem Wink des Himmels folgend – nach Worten in der Bibel. Mein Interesse galt dabei speziell solchen Aussagen, die in mir einen langen Nachklang haben. Dabei ist mir in den letzten Wochen Psalm 23
wieder sehr ans Herz gewachsen. Um nicht zu schnell über die mir so bekannten Worte hinweg zu huschen, habe ich mich mit dem Wortlaut einer hebräischen Bibel auseinandergesetzt.
Meine Übersetzung klingt dann folgendermaßen:
Jahwe ist mein Hirte.
Also werde ich nicht verloren gehen.
Er lässt mich in saftigem Grün weiden.
An murmelnden Bächen
zeigt er mir meinen Ruheplatz.
So erfrischt er meine Lebenskraft.
Er wird mich weiter auf rechtschaffenen Pfaden führen –
um seiner Ehre Willen.
Auch wenn ich durch das Tal des Todesschattens muss,
wird die Angst mich nicht lähmen, denn:
Du bist bei mir.
Deine Kraft und Gegenwart machen mich gelassen.
Vor meinen Gegnern bereitest du mir ein Festmahl.
Mein Gesicht hast du mit duftendem Öl gesalbt.
Mein Becher ist randvoll.
Gutes und Gnade prägen die Tage meines Lebens.
Bleiben möchte ich für immer im Haus Jahwes.
Mir ist selbstverständlich bewusst, dass die Übersetzung Martin Luthers eine tiefe, prägende Kraft hat. Gerade seine Version von Vers 3, wo es gemäß seiner Übersetzung heißt: „mir wird nichts mangeln“ ist eine
kraftvolle Absage ans Jammern, die mir sehr gut tut.
Keineswegs meine ich es also besser zu können oder zu wissen.
Die Arbeit am hebräischen Text hilft mir jedoch, Gedanken und biblische Weisheiten näher an mich heranzuziehen. So kann ich Gottes Wort auf meine Art und Weise mir aufs Herz schreiben.
Wie gelingt dir das? Wie machst du das? Wie verköstigst du Gottes Wort in deinem Herzen? Hast du einen solchen Satz, den du in deinen Gebeten immer wieder rezitierst?
Vielleicht gefällt dir ja folgender Vorschlag: „Dir mich lassen ganz und gar, Amen Amen das sei wahr!“ (Martin Luther) oder besser noch ein Satz aus dem Munde Jesu: „Ich bin ein guter Hirte“.
Weiteres zu Psalm 23
Zum Staunen! Als erstes Liedwort erklingt der Name Gottes: „Jahwe“.
Es ist das Wort, welches einem Juden als heiligstes gilt. Luther übersetzte den Namen Gottes mit „HERR“ – vom ursprünglichen Klang und Inhalt dieses Namens kommt da leider nicht mehr viel durch. Schade eigentlich. David, der „Songwriter“, der Liedermacher unseres Glaubens nimmt den Namen Gottes als erstes Wort seines Liedes und singt es!
Das, was im späteren Judentum bis heute nicht ausgesprochen werden darf, nimmt er fröhlich und frei in den Mund.
Meine Vermutung ist: David ist Gott gegenüber ohne religiöse Scheu. Das liegt wohl daran, dass das „Heilige“, das Besondere an Gott für David
nicht das Wort „Gott“ an sich ist. Die Auswirkung des Wesens Gottes auf das eigene Leben sind ihm viel wichtiger als frömmelnde Gefühle.
Wie wirkt Jahwe – Gott in dein Leben? Kannst du alle Scheu fahren lassen und dich in seine Arme werfen, in seiner Gegenwart zur Ruhe finden?
Bestimmt haben Sie bemerkt, dass meine weitere Übersetzung des Verses – anders als gewohnt – lautet: „Jahwe ist mein Hirte, ich werde nicht verloren gehen.“ Diese Variante ist vom Hebräischen her möglich. Statt
„mir wird nichts mangeln“ – eine nur schwer nachzuvollziehende, für zu viele Menschen lebensfremde Aussage, meine ich – stattdessen die Formulierung: „Ich werde nicht verloren gehen“.
Diese Übersetzungsvariante macht für mich einen großen Unterschied. So gelingt es mir persönlich besser, meine Lebenswirklichkeit näher an jene Erfahrung heran zu bringen, die David besingt. Und durch den formalen
und inhaltlichen Gesamtzusammenhang in der Rahmung dieses poetischen Kunstwerkes ist diese Übersetzungsvariante sehr wohl gestützt. Soviel erst mal zur „Wortarbeit“ eines Theologen.
Aber wie ist es denn nun um sein Innenleben bestellt? Ja, manchmal überfällt mich eine diffuse Angst, mich im Leben zu verlieren. In den Herausforderungen und Fehltritten mich zu verstricken, an schweren Problemen hängen zu bleiben und mich von der gedanklichen und
emotionalen Verwicklung in Probleme kaum lösen zu können – das macht mich nicht locker. Gelassenheit geht anders.
Was wäre, wenn ich das alles einem Anderen überlassen könnte, etwa dem wohlwollenden Gott, der über mich wacht. Vielleicht werde ich dann wieder öfter lächeln und den Moment nicht nur durchleben, sondern sogar
dankbar feiern können?
David – er ordnet sich diesem behütenden Jahwe – Gott zu. Egal, ob auf Wanderschaft oder im Haus. Die eigene Zugehörigkeit zu Gott bestimmen Anfang und Ende seines Liedes. „Jahwe, ist mein Hirte“– so beginnt er und
ganz am Schluss: „Bleiben will ich in Jahwes Haus für immer“.
In der Psychologie wird viel von der Rahmung von Ereignissen und Erlebnissen gesprochen. Ein erlittenes Unglück kann man in den Rahmen setzen: „Das auch noch – um Himmels Willen“. Oder „Jahwe, Gott, wieder
einmal hast du mich behütet – Danke von ganzem Herzen“.
Was wäre, wenn wir unser Unglück in einen anderen Rahmen setzen würden?
David rahmt seinen Psalm mit dem Gefühl, mit der Überzeugung, mit der Erfahrung, in Gottes Gegenwart wohlbehütet und zuhause sein zu dürfen.
Er weiß sein Leben, sein Gehen und Bleiben von Jahwe bewahrt.
Davids Liedrahmen möchte ich auf mein Leben anwenden.
Bleiben Sie behütet!
Ulrich Schineis